Dieter Luserke

Mit meinem Vater Martin Luserke an Bord
des "guten Schiffes KRAKE -ZK 14"

Unser Vater war für uns Kinder ja eigentlich nur ein Ferienvater. In den Schulwochen war er als Schulleiter sozusagen Vater für 80 Kinder. Und wir hatten dann nicht mehr persönlichen Umgang mit ihm als all die anderen Mädchen und Jungen der Schule auch.

Es war im Februar 1934, meine Mutter war schon vor Jahren gestorben, meine Geschwister berufstätig und längst aus dem Haus, als mein Vater mich zu einer "wichtigen Unterredung" zu sich rief. Dieses Gespräch ist mir noch so deutlich in Erinnerung, als sei es erst gestern gewesen.

Martin Luserke mit seinemSohn Dieter an Bord der "Krake"


 Vater sagte: "Wie Du ja weißt, befindet sich unsere 'Schule am Meer' in der Auflösung und wird bald geschlossen. Nun müssen wir überlegen, wie es mit Dir weitergehen soll, aber entscheiden mußt Du Dich schon selber. Ich bekomme aus Holland ein altes See-Fischerboot und gehe nach dem Umbau an Bord. Den Lehrerberuf gebe ich auf, und ich will als Schriftsteller die Nord- und Ostseeküsten von Frühjahr bis Herbst erforschen. Im Winter gehe ich dann nach Wikingerart irgendwo in ein Winterquartier. Der Haushalt hier wird aufgelöst, und ich kann nur das behalten, was auf dem kleinen Schiff Platz hat. Das bedeutet für Dich, daß Du dann kein Zuhause mehr hast. Sicher ist das hart, aber nicht zu ändern. Nun habe ich viele Freunde und kann Dich gewiß irgendwo in einer Familie unterbringen. Du kannst also auf jeden Fall Deine Schulausbildung weitermachen und später studieren oder - Du kommst mit mir an Bord und wirst Seemann. Das mußt Du Dir nun in aller Ruhe überlegen."

Nun, für einen 15 1/2-jährigen segelbegeisterten Jungen gab es da nicht viel zu überlegen. Zu fremden Leuten? - Nein! Auf das Schiff mit dem Vater, das war doch klar und sofort entschieden! Und das sonst durch den Zerfall der Schule immer so vergrämte Gesicht meines Vaters strahlte. Sein unerfüllter Jugendtraum, Seemann zu werden, würde nun mit mir in Erfüllung gehen. Und den Anfang seines neuen Lebensabschnitts, eine Fahrt ins Ungewisse, konnte er jetzt mit seinem Jüngsten zusammen beginnen.

Da bis zur Überführung und dem Umbau unseres Schiffes noch einige Zeit vergehen würde, sollte ich mir die ersten Seebeine auf einem anderen Schiff holen. Wenn ich auch von meinem 6. Lebensjahr an gesegelt hatte, war es mit der richtigen Seefahrt doch etwas ganz anderes. Und da später auf unserem Schiff die Besatzung nur aus meinem Vater als "Käptn" und mir als "Mannschaft" bestehen würde, war es schon wichtig, daß ich erste Erfahrungen mitbrachte.

So wanderte ich an einem trüben Februartag, an den Füßen die Seestiefel, auf dem Buckel einen Rucksack mit warmen Klamotten, ganz alleine bei Niedrigwasser über das Watt zur "Ostfriesland", die draußen vor Juist auf der jetzt trockenen Reede lag. Einerseits stolz und voller Erwartung, andererseits fühlte ich mich aber auch etwas beklommen und heimatlos. Aber das besonders im Winter harte Bordleben ließ mir keine Zeit zum Träumen. Da hieß es Augen auf und zugepackt. Erklärt wurde nicht viel. Der junge Seemann mußte sich damals eigentlich durch aufmerksames Hinschauen zumeist selbst ausbilden. Schulmäßige Ausbildung und Kurse gab es nur im Drill auf einigen wenigen großen Schulschiffen, die ich mir natürlich finanziell nicht leisten konnte.

Durch 10 Jahre Segelpraxis brachte ich aber doch gute Voraussetzungen mit. Viele Handgriffe, Knoten und Spleißen, Kompaßkurse steuern, Wind und Wasser mit den Gezeitenströmen, das war mir ja alles vertraut. Viel Neues zu lernen gab es natürlich an "Schiff und Ladung". Der etwas väterliche Käptn und der kameradschaftliche Matrose gaben sich alle Mühe, mir möglichst schnell recht viel beizubringen. So war ich nicht der dumme Moses (Schiffsjunge), der mit Knüffen und Backpfeifen getrimmt wird, sondern bald ein richtiger Bordkamerad. Ja, auf diesem 100 to.-Motorsegler "Ostfriesland" hatte ich einen guten Start in das Berufsleben. Meistens fuhren wir mit Ziegelsteinen oder Kohlen von verschiedenen Plätzen an der Ems nach Juist. Eine Heuer bekam ich nicht, denn ich fuhr als überzähliger Mann an Bord. Für junge Menschen war es auch damals sehr schwer, einen Ausbildungsplatz zu bekommen.

Aber für Ladungsarbeiten, z.B. Kohlenschaufeln, gab es eine Extravergütung. Von dem ersten selbstverdienten Geld kaufte ich mir meine erste lange Hose. Stolz konnte ich nun in der Seemannshose wiegenden Schrittes an Land gehen und brauchte mich nicht mehr der kurzen Jungenhose zu schämen. So wurde ich zum Jungmann.

Ende Juni 1934 kam ich dann an Bord unseres "guten Schiffes 'Krake'", das jetzt in Oldersum an der Ems in der Werft lag. Nun begann eine recht abenteuerliche Zeit. Die "ZK14", für 400 Gulden in Holland gekauft, hatte in Zoutkamp einige Jahre unbenutzt aufgelegen. Das Schiff war völlig verwahrlost.

Auf der 4-tägigen Überführungsfahrt im Schlepp von Zoutkamp nach Oldersum brach die Kajüte zusammen. Aber der Rumpf war gutes schweres Eichenholz.

Überall lagen bauchige Schnapskruken aus Ton herum. Jeden Abend erzählte der Kapitän eine Geschichte zu diesem absonderlichen Schiff. Aus diesen vier Geschichten wurde dann später der Roman "Obadjah und die ZK 14" in dem dann auch die Tonkruken eine große Rolle spielen.

Im Logbuch der "Krake" steht dazu:

"Der Ausbau auf der Werft zog sich endlos hin. Die 'Schule am Meer' wurde Ostern geschlossen. Lu schrieb seine 'Geschichten von der ZK 14'. Am 1. Juni zog er ganz nach Oldersum, um die Arbeit in Gang zu bringen und selbst nach Möglichkeit mitzuschaffen. Am 24. Juni bezog er mit Dieter die Vorderkajüte, die behelfsmäßig eingerichtet war. Das Hausen im Lärm, Staub und Gewühl der Werft war in der Sommerhitze oft qualvoll. Jeden Abend gingen wir auf dem Emsdeich und schauten den Weg in die Freiheit entlang. Gelebt haben wir wie die Zigeuner und recht viel gearbeitet. Etwas nachtwandlerisch geschah alles wohl in der Betäubung dieses Daseinswechsels.

Ob er richtig war, muß sich noch erst bestätigen."

Die Werft lag völlig windgeschützt direkt hinter dem hohen Emsdeich. In der Julihitze war es wie im Backofen. Die Decksnähte gingen trotz Kalfatern völlig auseinander. Kam dann ein Gewitterregen, war es im Schiff wie unter einer Brause. Und dann bei der Hitze in der kleinen Kajüte unter dem Vordeck auf dem Kohlenherd kochen! Das Kochen hatte ich ja auch auf der "Ostfriesland" gelernt, d.h. was man auf einem kleinen Schiff so kochen nennt. Da gab es im ständigen Turnus: Ersensuppe, Nudelsuppe, Bohnensuppe, Kartoffeln und Fleisch, Linsensuppe und Bratkartoffeln. Das lief bei der Schiffsarbeit so nebenbei und durfte nicht viel kosten. Brannten die Erbsen mal an, war der Teufel los.

Und so ging es auf der "Krake" weiter. Heute wundere ich mich, daß mein Vater diese Kost mit 54 Jahren vertragen hat. Was ich vorher nicht gelernt hatte, war die "große Wäsche". Als wir nichts mehr zum Anziehen hatten, kaufte ich ein Paket Persil, nahm unseren großen Kochtopf, machte ordentlich Feuer im Herd, daß die Wäsche nur so brodelte und dampfte. Bitte, ich hatte mich genau nach der Gebrauchsanweisung auf dem Persilpaket gerichtet. Und dort stand nichts davon, daß man gelbe und blaue Polohemden und Wollsocken nicht mitkochen darf. Als die wie Ostereier buntgefärbte Wäsche auf der Leine hing - die Socken brauchte ich nicht mehr aufzuhängen, die hatten sich aufgelöst - wollten sich einige Frauen im Hafen totlachen. Dann erbarmten sie sich aber und zeigten mir, "wie man dat mokt". Der Käptn schaute nur bedenklich drein, sagte aber nichts. Das war eben meine Arbeit. Stopfen und Flicken hatte man mir weise vorausschauend schon als Kind beigebracht. Aber Wäschewaschen, daran hatte keiner gedacht.

Also, das war bei uns eine Wirtschaft! Und doch war es herrlich! Ich hatte einen Vater ganz für mich alleine, der gleichzeitig mein Käptn und ein großartiger Bordkamerad war.

Allmählich aber wurde aus dem Wrack ein schmuckes Schiff, besonders als es an das Auftakeln ging. Im Vorwort zu einem später veröffentlichten Logbuchauszug beschreibt der Käptn, kurz "Lu" genannt, das Schiff so:

"Die 'Krake' ist ein ehemaliges holländisches Seefischerboot. Auf dem alten Großsegel steht noch Obadjahs Kennmarke ZK 14 gemalt. Das Schiff ist aus Eichenholz, schwer und bauchig gezimmert, 11 m lang und 4 m breit. Der Boden ist ohne Kiel und völlig platt, so daß 'Krake' an den Nordseeküsten bei Niedrigwasser wie ein Haus auf dem Sand steht. Schwimmend geht sie nur 50 -80 cm tief.

Dabei sind diese Küstenschiffe aber völlig seetüchtig. Es hauen wohl Spritzer über Bord, aber das Fahrzeug schaukelt wie eine Blechschachtel immer oben hin über die Seen. Ein so kleines Boot schwenkt sich dabei ganz natürlich mit der Bewegung im Wasser auf und ab, und seine Unruhe ist (wie wir finden) viel angenehmer als das Arbeiten eines großen Schiffes.

Wir können noch bei mittlerem Seegang das Kaffeegeschirr ohne Sicherung auf dem Tisch stehen lassen und brauchen weder uns noch den Wellensittich anzuseilen. Immerhin, wer bei uns Windstärke 6 - 7 aushält, ohne seekrank zu werden, erhält schiffsamtlich ein 'Niekotza-Diplom' ausgestellt.

An Deck befindet man sich nur einen halben Meter über Wasser und erlebt See und Ufer also aus der echten alten Wikingerschau. Der Kanufahrer weiß, wie sehr diese sich von der heutigen Normal-Bord-Aussicht vom Promenadendeck herab unterscheidet. Ein Hüttenaufbau über unseren Kajüträumen macht es möglich, daß Personen bis zu 1,725 m Länge (das Militärmaß des Dichters) unter Deck aufrecht stehen können. Größere Leute stoßen sich wahrscheinlich allmählich ab, wie man sich überhaupt in der Enge eines solchen Schiffes rasch eine nachtwandlerische Sicherheit darin erwirbt, die engen Auf-, Nieder- und Umgänge bei Tag und im Dunkeln trotz den erstaunlichsten Verschiebungen von Waagerecht und Senkrecht zu nehmen. All das lernt sich erfahrungsgemäß auch für den eingefleischten Binnenländer ganz einfach, sobald er es ernstlich muß - geradeso wie das Steuern und alle andere seemännische Arbeit. Auf 'Krake' gibt es ja keine Rücksicht auf Stand, Alter und Geschlecht; wir sind alle nur eine Besatzung und fahren keine Passagiere.

Unter dem Vorschiff, der sog. Back, ist das Logis. Es sieht darin nicht viel anders aus als in dem entsprechenden Raum eines jeden Küstenschiffes. Man ist in einer Wohnküche von 1,5 x 2,5 m Weite, abzüglich Raum für 2 Sitztruhen. Vorn steht ein winziger Herd für Brikettfeuerung. Die Wände bestehen aus nichts wie Schränken und Fächern. Auf jeder Seite liegt eine Schlafkoje. Kojen sind Wandschränke in Sargform mit Strohsack und Federbett. Mit Schiebetüren kann man sich nach Wunsch ganz von dem kalten Ozon der Seeluft abschließen.

Nach achtem zu wird die Wand des Logis durch den großen eisernen Wassertank gebildet. Wir können 400 Ltr. an Bord nehmen. An der Nordseeküste wäre eine häufige Ergänzung des Frischwassers ja oft sehr umständlich. Machmal wurde schon behauptet, daß wir mit dem Wasservorrat doppelt so lange reichen, wenn keine Mädel an Bord sind.

Neben dem Tank führt ein dunkler Durchschlupf nach Mittschiffs zu weiter. In ihm kriecht man an Instrumenten und an dem Seekartenlager vorbei. Wenn man sich hinhockt, kann man bequem den Rundfunk abhören. Ein guter Empfänger ist auf unsern oft wochenlangen einsamen Fahrten nötig, um auch ohne Briefe und Zeitungen mit dem Leben in Fühlung zu bleiben.

Hinter dem Wassertank liegt dann des Kapitäns Kajüte quer durch das Schiff 3 m breit und außerhalb der Schlafkoje noch 1 m tief. Durch das Fußende der Schlafkoje steht der dicke Mast herunter; aber der Mensch wird ja nach den Füßen zu schmal und teilt sich.

In meinem Salon gibt es den eingebauten Schreibtisch, einen Büchervorrat (mit 1/2 laufendem Meter Literatur läßt es sich schon leben), eine Schreibmaschine, den Käfig des Bordvogels und allerlei Holzschnitzereien, um nur einiges zu nennen. Es ist überhaupt erstaunlich, welche Menge von Dingen sich in einem Schiff wegstauen lassen.

Hinter dieser romantischen Kajüte kommt dann der sachliche Maschinenraum mit einem 16/20 PS-Deutz-Diesel-Rohölmotor, dem Tank für 300 Ltr. Öl und allem Zubehör einer zuverlässigen Maschine. Ganz feine Besucher behaupten, überall auf dem Schiff herrsche als eine Art Verwirklichung der allgemeinen Zuverlässigkeit ein leichter Rohölduft. Nach kurzer Zeit hat man ihn aber wohl selber angenommen und merkt jedenfalls nichts mehr von ihm.

Das Ruderhaus mit Steuerrad, Kompass und allen Einrichtungen einer kleinen Kommandobrücke ist halb unter Deck versenkt, um die Segelfähigkeit des Schiffes nicht allzu sehr zu beeinträchtigen. Hinter ihm gibt es noch den Stauraum für Reservetauwerk und -segel und sonst noch notwendige, z.T. verschwiegene Zwecke.

Über Deck fällt der 13 m hohe und ungewöhnlich dicke Mast auf, den diese alten holländischen Küstenboote haben. Zwei lange und schwere flossenartige Seitenschwerter verhindern das Abtreiben, wenn man bei seitlichem Wind segelt. Das Schiff ist als Kutter getakelt; vorn läßt sich noch ein 3 m langes Bugspriet herausstecken. Wenn wir mit Großsegel, Fock und Klüver alle Leinwand setzen, sind 80 qm oben. Mit raumem Wind segelt 'Krake' dann bis zu 6 Seemeilen (= 10 km) in der Stunde. Allerdings kann diese Art Schiffe mit dem runden Vorderteil und dem glatten Bauch schlecht gegen Wind und Seegang vorankommen. Wenn es uns ins Gesicht bläst und das Vorschift auf- und abzusteigen beginnt, hilft auch bald der Motor nichts mehr; 'Krake' stampft schließlich nur noch auf der Stelle. Wenn dann kein Strom hilfreich schiebt, muß man eben den Kurs ändern. Auch diese Schwierigkeit, daß man, wenn der Mensch sich Ziele setzt, Wind haben oder abwarten muß, ist echt wikingermäßig."

Am 12. Juli war endlich der Motor eingebaut. Wir holten das Schiff per Hand durchs Siel. Der Werksmonteur kam, füllte Öl auf und machte die Maschine fertig. Gegen Abend kam dann der große Augenblick, die Maschine sprang gut an, und wir liefen aus zur ersten Probefahrt auf der Ems. Die "Krake" war lebendig geworden!

Wieder im Hafen, zeigte mir der Monteur "alles", wie er meint, wovon ich aber nur wenig verstand. Einmal mußte ich die Maschine unter seinen Augen anwerfen und wieder abstellen. Dann sagte er: "So, nun mußt Du alleine damit fertig werden", drückte mir die Betriebsanleitung in die Hand und verschwand.

Da stand ich nun mit meinen 15 Jahren und zuerst etwas fassungslos vor der - wie mir schien - gewaltigen Maschinenanlage. Nun war das damals natürlich ganz anders als heute, wo man nur einen Schlüssel dreht und dann brummt da ein kleiner Motor los. Für heutige Jungen, die ja mit Vaters Auto groß werden ein Kinderspiel.

Ich war aber auf der Insel groß geworden, und da gab es kein Auto. Von Motoren hatte ich keine Ahnung. Und Bootsmotoren waren damals ganz schöne Klötze. Unser 2 Zylinder-Deutz-Diesel war gut 1 m hoch und mit dem gewaltigen Schwungrad und Getriebe 2 m lang. Aber die Aufgabe reizte mich natürlich. So wurde ich mit meinem "Pflegekind", dem ich alle Liebe meines Jungenherzens angedeihen ließ, bald ganz gut fertig.

Nach dem damaligen Stand der Technik war dies natürlich eine ganz moderne Maschine. Mußte der Glühkopfmotor auf der "Ostfriesland" (an den ich leider nicht randurfte) noch mit der Lötlampe angewärmt werden, hatten wir "Zigarettenzündung". Und das ging so:

In 2 Rohrstücke mit gebogenen Handgriffen wurde ein spezielles Papier gesteckt und angezündet. Das glimmte dann wie eine Lunte und wurde mit einer Verriegelung in den Zylinderkopf gesteckt. Dann wurde die Maschine mit Preßluft angeworfen. Das mußte fix gehen, weil die Lunten schnell verloschen und die Maschine dann nicht ansprang. Und die Preßluft reichte nur für etwa 3 - 4 Versuche. Dann war die Flasche leer. Um die Maschine von Hand anzuwerfen, reichten meine Kräfte nicht aus. Dann mußte der "Alte" mit ran, und wir kurbelten uns fluchend die Seele aus dem Leib. Bei kalter Maschine war das sehr schwer.

Die Preßluftflasche wurde mit laufender Maschine wieder aufgeladen. Und wenn ich das mal vergaß - mit Erstaunen erfuhr ich, daß mein Vater ganz schön fluchen konnte. Es gab noch so eine Tücke mit dem Dieselöl, das per Handpumpe aus dem großen 300 Ltr.-Tank in einen kleinen "Tagestank" umgepumpt werden mußte. Vergaß ich das, und der Tagestank lief leer, kam Luft in die Brennstoffleitung; und das kann kein Dieselmotor vertragen.

Aber wenn der Dieselmotor so schön gleichmäßig vor sich hintuckerte und ich alle Stunde mit der Ölkanne herumlief, um die Lager zu schmieren, kam ich mir vor wie ein alter Seemaschinist. Das war herrlich!

Zur ersten Seefahrt steht im Logbuch der "Krake":

14. Juli. Eigentlich sollte eine Verabschiedungs-Lustfahrt aller Werftleute mit Familie sein. Nachmittags kam aber ein schweres Gewitter mit wildem Regen. Dieser letzte Werfttag war geradezu toll. In Regen und Schmutz mußten wir die Ausrüstung auf das innen erst halb fertige Schiff schleppen, wo noch die Zimmerleute arbeiteten. Wegstauen konnte man nichts. Das Deck war voll Kram. Lu und Dieter arbeiteten bis 1/2 10 Uhr nachts, dann noch etwas Reinschitt. Dann leisteten wir uns zum 1. Mal in all den Wochen Kaffee und Kuchen und krochen todmüde in die Kojen. Um 1/2 3 Uhr war ja Hochwasser, und da wollten wir fahren.

Erste Seefahrt : Oldersum - Juist. Sonntag 15. Juli.

"Stilles, früh nebliges Wetter.

Noch bei Nacht um 2 Uhr auf. Rasch etwas Tee. Dann rüstet Dieter den Motor, Lu die Positionslampen (Petroleum). Alles geht glatt. Mit allen Lichtern gleitet die ,Krake‘ 2.45 Uhr endgültig aus dem Oldersumer Tief und rattert im Morgengrauen die Ems hinab.

Am Emswachtschiff geht alles glatt, dann hinaus auf See.

Waren wir froh! Dieter tobt sich in fabelhaftem Reinschiff aus. Wir setzen die Fock dazu.

In der Memmertbalge wird der Wind frisch. Der Motor steht plötzlich, Tagestank leer! Während Dieter den Schaden behebt, segelt die 'Krake' mit der großen Fock tadellos bis zur roten Tonne. Hier geht das Wasser aus. Wir ankern. Der kleine Anker hält nicht. Der große macht‘s. Mittagessen. Nachher großer Schreck: Die Luftflasche klemmt fest. Dieter kriegt den Motor noch in Gang. Wir beschließen, statt des Triumpfzuges nach Juist, lieber nach Norddeich zu fahren, um den Monteur zu treffen. Aber die alte 'ZK 14' ist eben abenteuerlich. Plötzlich funktioniert die Luftflasche wieder. Wir fahren also doch nach Juist. Gegen steifen West vor der Brücke haut's den Gischtbart um den dicken Butzkopf der 'Krake'. Mit starken Gefühlen biegen wir auf die Reede ein. Hat man uns bemerkt? Nein, nichts. Niemand zeigt sich."

Und zur Zweiten Seefahrt Juist - Oldersum - Emden:

"Am 16.7. mitternachts los. Stilles Wetter, Neumond, Lichterpracht und Meerleuchten. Wir fahren übers Nordland, finden M 2 richtig und ankern. Schlafen. Am 17.7. um 8 Uhr ankerauf und in glatter Fahrt bis Oldersum. Dort 13 Uhr. Schwüle Hitze. Wir schleppen die letzte Ausrüstung an Bord. Lu rechnet ab. Das Ergebnis ist niederschmetternd: fast 1000 M über den Voranschlagl Es war eben doch viel unvorhergesehene Arbeit - und obwohl kein Komfort beschafft ist, hat die Solidität eben doch viel Geld gekostet. Wir fliehen aus Oldersum.Glatte Fahrt nach Emden. Nach langem Warten vor der Eisenbahnbrücke legen wir bei Dunkelheit im DeIft neben der Straße an. Schöner, romantischer Liegeplatz. Ein bißchen sehr nahe an den Menschen. Aber das Vertäuen mitten in der Stadt wird doch sehr genossen. Erst 1/2 12 Uhr zur Koje.

Am 18.7. viel Lauferei und Arbeit. Der Steuerkompaß muß eingebaut und kompensiert werden. Neuer Motorschreck: Das Schwungrad will sich plötzlich nicht mehr drehen. Schließlich hilft ein Barkassen-Maschinist. Bei neuen Maschinen soll das öfters vorkommen. Ein starker Ruck - und alles ist in Ordnung.

Nach dem Kompensieren mit Kapt. Freese an der großen Boje liegen wir noch am Wasserschift und trinken was Kühles. Da kommen zwei Radfahrerinnen, die nach Juist ins Jugendlager wollen. Ob sie nicht mitfahren dürften?!

Lu will erst nicht. Schließlich Vertrag: sie müssen arbeiten für die Überfahrt, scheuern und kochen. Es gelten nur Vornamen. Waltraut und Angela kommen strahlend und erweisen sich als prachtvolle Schiffskameraden, die viel arbeiten, wenig reden und mit offenen Sinnen das ihnen völlig fremde Schiffsleben und dies seltsame Fahrzeug genießen. (Am anderen Tag stellt sich erst beim Abschied heraus, daß Waltraut eine Juristenfrau mit 3 Kindern und Angela eine baltische Baronesse ist). Es war fein, richtige Menschen auf dem Schiff zu haben, und wir beiden recht abgearbeiteten Schiffsleute genossen es, mal nett betreut zu werden.

Im Außenhafen übernachtet. Dieter fährt die Mädchen noch im Beiboot aus. Sie schlafen in Lus Kabine auf einer Persenning. 4 Uhr Wecken, guter Kaffee und seeklar machen. Das Wetter scheint schlecht zu werden. Wir fahren aber raus.

Im ostfriesischen Gatje ging der Tanz los. Der NW ist noch nicht schlimm, aber die Kabbelsee hat's in sich. Die 'Krake' tanzt wie eine Ente. Ohne den Strom hätten wir keine Fahrt gemacht. Schraube dauernd raus. Das Piekfall kommt los und haut eine Scheibe im Ruderhaus ein. Aber es kommt nur Spritzwasser über Bord, obwohl die Seen manchmal sehr hohl gehen. Unter Borkum wird's dann besser. Die Mädchen halten sich tapfer.

10 Uhr vor dem Nordland geankert. Fabelhaftes Mittagessen. Der Wind wird immer stärker. Wir schieben uns dann 13 Uhr übers Nordland und liegen bis 17 Uhr aul der Juister Reede, ehe die Gäste an Land können. Nette, interessante Gespräche."

Bis Ende August machten wir von Juist aus Fahrten zu den anderen Inseln und Festlandshäfen in Ostfriesland, z.T. auch mit Gästen. Wir machten uns mit dem Schiff vertraut, richteten uns weiter ein, und der lnnenausbau des Schiffes wurde an Liegetagen mit Hilfe eines Tischlers fertiggestellt. Schiff und Besatzung wurden bei gutem und schlechtem Wetter erprobt.

Hierzu ein Tag aus dem Logbuch der "Krake":

Donnerstag, 26. Juli. Die Nacht war ziemlich wild, bis das Wasser gegen 8 Uhr weggefallen war. Lu war 3 mal an Deck, um festzuzurren oder das Beiboot zu sichern. Also ausschlafen bis 8 Uhr. Um 10 Uhr pullt Dieter für Besorgungen an Land.

Lu arbeitet an den 'Wassergeusen'.

Mittags, 12.15 Uhr. Der Westwind ist stürmisch geworden. Im Ebbestrom ist gewaltiger Seegang entstanden. Die 'Krake' rollte gewaltig. Die ganze Kette ist ausgesteckt und alles sturmklar gemacht.

Wie oft haben wir vom Flaggenmast aus unsere Boote so im Gischt arbeiten sehen -  jetzt ist man endlich selber draußen. Es ist moj. Nur das Schreiben ist nicht ganz einfach bei dem Schwanken.

15 Uhr. Der Sturm nimmt zu. Barometer bis auf 750 gefallen.

Die ganze Welt ist SW-wärts von Nebel erfüllt, der schwer und dicht über ihr hängt. Warme Regenböen prasseln nieder. Das Schiff liegt trocken. Es zittert unter dem Arbeiten von Mast und Takelwerk.

Ob wir mit der aufkommenden Flut abends hinter die Brücke flüchten? Schön ist's aber in den heimeligen Innenräumen. Die Decks lecken zwar verschiedentlich, aber man fühlt sich doch geborgen und zugleich mitten in der Umwelt der Nordseeküste. 'Krake' muß ihre erste Bewährungsprobe bestehen. Der Wind heult hier doch ganz anders als um die Häuser auf der Insel!

18 Uhr. Das Barometer fällt noch immer. Der Sturm heult. Das Schiff liegt graublank und trutzig auf dem nassen Sand. Eben brachten unsere Fahrtgesellen Waltraut und Angela tapfer ihre Fahrräder an. Wir wollen ja morgen früh nach Norddeich. Dieter muß zum Zahnarzt. Na, ob der Sturm es erlaubt?

Angelas "kleine" Schwester Irene aus dem Jugendlager war mit. Wir haben gemütlich Tee getrunken. Dieter war mit einem Sack Kohlen vor 1/2 Stunde angekommen.

Dann haben wir die zweiten 30 m Ankerkette für alle Fälle angeschäkelt und das Beiboot an Deck geheißt, den Anker noch vorgetragen. So, nun kann der Sturm kommen oder abflauen. Maschine ist auch klar.

18.30 Uhr. Der Sturm scheint etwas nördlicher zu drehen. Die Wolken sind nicht mehr so verschmiert. Das Barometer ist 1 Strich gestiegen. Ach, ist das schön, weiter keine Sorgen zu haben als sein Schiff und die Elemente! Resp. von diesen Sorgen so machtvoll und völlig in Anspruch genommen zu sein, daß alle anderen hinter die Wände der bewußten Welt zurücktreten. Nach solchen Zeiten wird man mit neuen Augen auf die Aufgaben der Zeit schauen. So muß "Erholung" für Männer wohl aussehen, Ur=holung. Stimmt's?"

Und weiter heißt es am 27. August 1934:

"Nachmittags baut Lu in der Schule seine letzten Sachen ab, d.h. in der Hauptsache übernimmt der gute Aeschli die Arbeit für seine baldige Einsiedlerzeit hier, und wir trinken in Ruhe noch eine Flasche von Ernst Herdieckerhoffs altem, goldenen Wein."

Und weiter:

"Heut nachmittag schließt ja das Kapitel 'Schule am Meer' für mich endgültig.

Auszug aus der "Schule am Meer"

Eigentlich hat es kein Mensch gemerkt als Lu selber. Nach dem Abendessen geht ein Mann, mit Paketen beladen, einsam aufs Watt. Im Abenddunkel liegt da sein Schiff. "Das Letzte allein'. Ich habe mich nicht umgesehen.

Es ist ja ein typisches Erlebnis, daß mir (bei meiner dramatischen Veranlagung) die ergreifenden, groß inszenierten Abschiede versagt bleiben. Obwohl ich vorher oft von ihnen geträumt habe als von erschütternden Stunden. In Wirklichkeit wird es dann immer banal, ja etwas doof.

So war es 1905 in Niesky, wo meine Seele festgewachsen war. Und wo ein fabelhaftes Verabschiedungszeremoniell für Lehrer üblich war. Kurz vor Ostern brachen die Masern aus. Fluchtartige Räumung der Anstalt - ich fuhr ohne Segen und Geleit später privatim ab.

So war es bei Kriegsausbruch in Wickersdorf. Es waren Ferien. So war es 1925, als wir nach Juist auswanderten - die anderen schon fort, ich packte noch. Dann einsam in Saalfeld früh um 4 Uhr im Wartesaal 4. Klasse Kaffee getrunken. So war es jetzt -  - und in dem allen liegt eine tiefe Notwendigkeit. Meine Treulosigkeit gegen das normal Bestehende, meine Fixiertheit auf das Neu-Schaffen, wird mir ganz richtig bescheinigt.

Und so ist dieser Gang übers dunkle Watt zum Schiff zwar besonders wehmütig - denn hier in Juist sollte das Größte, was mir möglich war, geschaffen werden - aber dies muß so sein. Ich habe fast zu eigenem Erschrecken hinterher - ja immer wieder das Bild des Mannes gestaltet, der nur 90 %ig ist. Ob die Prozente von sehr hoher Gesamtart sind - es sind nur 90 %. Sar Ubo, dem nur die Hand silbern war. Und jetzt wieder der Riese Okko, der nicht zum zweiten Mal über den Schicksalsfluß mochte.

Trotzdem ein Leben von großer Art zu führen, ist mein Wille. Und die seltsamen und grauen Abschlüsse der einzelnen Balladenstrophen müssen eben hingenommen werden.

So fange also jetzt die letzte Strophe anl"

Der erste Sommer war oft recht hart. Wir lebten anfangs sehr spartanisch, weil es immer an Geld fehlte. Und wenn etwas hereinkam, war zuerst das Schiff an der Reihe. Lu schrieb Geschichten von der See und der Küstenwelt für Zeitungen und Zeitschriften. Wurde eine angenommen, war das ein Fest! Davon mußten wir leben.

Die "Krake" war kein Lustschiff oder Sportboot, sondern ein Arbeitsschiff besonderer Art, ein Dichterschiff, Wohnung und Forschungsstätte. In früheren Zeiten, als es noch keine Schiffsmaschinen gab, waren die Seefahrer ja nicht nur von Wind und Wellen, sondern hier an der Nordseeküste auch ganz besonders von den Gezeitenströmen (Flut und Ebbe) abhängig. Auch die "ZK 14" hatte noch keinen Motor, als wir das Schiff übernahmen. Oft lagen wir manchmal tagelang draußen im Watt zwischen den Bänken und Prielen, um diese eigenartige Umwelt mit ihren Strömungen und einer vielfältigen Fauna zu beobachten. So schrieb der Lu seine Geschichten und die ersten Romane wie "Hasko, ein Wassergeusenroman" und sein schönstes Buch "Obadjah und die ZK 14", die abenteuerliche Geschichte dieses Schiffes.

Auf den Spuren der Wikinger wurde aber auch die Ostsee mit ihrer vielfältigen Inselwelt erforscht nach Osten bis zum Kurischen Haff, sowie Schweden und Dänemark.

So war die "Krake" eine schwimmende Werkstatt, aber ein eingetragenes (registriertes) Seeschiff - als Motorsegler mit dem Unterscheidungssignal DGJC. Mit 12,6 BRT vermessen, unterlag es auch allen Sicherheitsvorschriften der Seeberufsgenossenschaft. Es gab eine Musterrolle, und ich war auch angemustert zunächst als Decksjunge, später als Jungmann, Leichtmatrose und Matrose, immer nach der vorgeschriebenen Fahrtzeit. Auch ein Teil der damals für die nautische Laufbahn noch vorgeschriebenen Segelschiffsfahrtzeit wurde mir auf der "Krake" angerechnet.

Die Arbeit an Bord war manchmal recht schwer. Ich war kein bärenstarker Seemann, wie man es sich vielleicht vorstellt, sondern eher ein etwas schmächtiges Kerlchen. Aber die Kräfte wuchsen!

Bei starkem Wind auf dem im Seegang taumelnden Schiff 80 qm der schweren roten Fischersegel zu setzen, das war Schwerstarbeit. Es gab ja keine Winden, wie man sie heute auf jeder Yacht hat, nein, alles per Hand mit dickem Tauwerk, das in Taljen über schwere Blöcke (Rollen) lief. Oder beim auf- und niedertanzenden Schiff den Anker mit dem Handspakenspill aus dem Grund zu brechen, war nicht einfach. Anfangs mußte ich das alles alleine machen. Der "Alte" stand ja am Ruder. Doch wenn es zu viel für mich wurde, tauschten wir kameradschaftlich die Rollen. Das war klar.

In diesem stürmischen regnerischen Sommer hatten wir sehr unter der Nässe zu leiden. Bei der oft sehr kabbeligen See auf dem Watt nahm das Schiff auch viel Spritzwasser über. Das alte Vordeck der Back war einfach nicht dicht zu kriegen. Dies trotz vieler Versuche mit Werg und Pech, wenn es mal einen trockenen Tag gab. Wenn ich dann auf dem Kochherd Pech kochte, war das die reinste Hexenküche.

Der kleine Kohlenherd war überhaupt Gold wert, konnte man doch ordentlich einkacheln und nasse Sachen trocknen. Das kleine Logis war im Nu warm. Mit einer Handvoll öligem Twist (Putzwolle) hatte ich das Feuer sofort in Gang. Gestank? Längst gewöhnt

Und wenn dann der Teekessel summte und die Petroleumlampe blakte, Mann, war das gemütlich! In der Kajüte des Käptn sah es da schon schlechter aus. Allerdings hatte er am Schreibtisch eine Spirituslampe, die auch ganz schön wärmte. Wenn es aber trotz Burnus und Fußsack zu kalt wurde, kam er eben nach vorne. Das war dann ein guter Grund, das Schreiben zu unterbrechen und eine neue Geschichte zu erzählen. Seine Geschichten wurden ja alle erst erzählt und dann aufgeschrieben. Darum sind es keine künstlerischen Novellen, sondern eben Erzählungen. So sind die Luserke-Bücher eigentlich zum Vorlesen gedacht.

Am schlimmsten war die Nässe in der Koje des Käptn, weil hier der Mast zwischen seinen Füßen durchging. Am Mast lief das Wasser runter. Bei dem ja immer arbeitenden Holz war der Durchgang Mast/Deck nie dichtzukriegen. Damals gab es ja noch nicht die schönen elastischen Dichtmassen, wie wir sie heute kennen.

Man mußte also aufpassen, daß der Strohsack nicht faulte. Hier hat der Käptn sich wohl seinen Rheumatismus zugezogen, was ihn dazu zwang, Ende 1938 die Seefahrt aufzugeben. Er wurde dann in Meldorf ansässig.

Im 2. Sommer wurde schon vieles besser. Im Winterquartier am Schweriner See wurde das Vordeck mit Leinen bezogen. Der Decksaufbau ab Kapitänskajüte war ja in Oldersum sowieso neu gebaut (die ZK 14 war vorher ab Mastfuß nach hinten offen), wurde nochmal gründlich nachkalfatert und lackiert und dann von Lu das "Amatideck" getauft. Auch elektrische Beleuchtung wurde dort mittels Autobatterie und Generator eingebaut.

Doch zurück zu unserem abenteuerlichen ,Krake‘-Sommer 1934. Wer ein altes Holzschiff kennt, weiß, wieviel Arbeit es macht, Arbeit, die nie fertig wird. So war ich auch an Liegetagen voll ausgelastet. Das Essenkochen mußte so nebenher laufen. Zwar war ich schon dahintergekommen, daß man die schon erwähnte "Menue-Folge" durch Konserven etwas aufbessern konnte. Aber es blieben doch kümmerliche Versuche. Konserven waren ja auch viel zu teuer. So viel Spaß mir sonst alle Schiffsarbeit auch machte, zum Kochen hatte ich verdammt wenig Lust. Warum hatten wir auch keine Frau an Bord?

In Norddeich bekamen wir einmal Besuch einer Schülerin, die einen großen Korb voll Gemüse aus dem elterlichen Garten mitbrachte. Salate, grüne Bohnen, Kräuter noch und noch! Wie schwelgten wir in der Vorfreude nach unseren ewigen Hülsenfrüchten.

Frisches Gemüse! Also ran an die Zubereitung. Wer, ich? Gemüse zubereiten? Keine Ahnung! Hilde, das Mädchen? Auch keine Ahnung! Im Logbuch stand das dann so:

"Mittags hat Hilde, die Vegetarierin, mit Dieters gelegentlicher Hilfe ein fleischloses Sonntagsessen gekocht. Dieter kündigt es als mehliges Fett (Soße, die zu dick war), Eiskartoffeln und Gummibohnen an. Na ja, das Kochen will eben auch praktisch gelernt sein, und die ,Krake‘ ist als schwimmende Haushaltsschule gerade richtig."

Aber auch der Käptn war mit Arbeit vollausgelastet. Er mußte ja schreiben, schreiben, schreiben. "Teeren" nannte er das. Lu hat seine Geschichten und Bücher immer erst etliche Male mit der Hand geschrieben, bis sie jemand tippen konnte. Dann wurde noch weiter ausgefeilt. Und in der Ostsee war auch mit längeren Törns zu rechnen, wo dann "Wache gegangen" werden mußte. So merkten wir doch bald, daß unser Schiff mit 2 Mann unterbesetzt war.

Aber noch etwas anderes kam hinzu. Bei dem vielen schlechten Wetter gab es auch stimmungsmäßig trübe Tage. Lu, in seinem bisherigen Leben immer an die Arbeit mit der Jugend gewöhnt, fürchtete wohl zu vereinsamen. Natürlich hatten wir beide uns gegenseitig in herrlicher Kameradschaft. Und das war ein großes Glück. Aber er befürchtete wohl, daß er eines Tages für mich der "schrullige Alte" wird. Sein Neuanfang wurde ihm doch sehr schwer.

Also wegen der vielen Arbeit, zur geistig-seelischen Auftrischung - und überhaupt, mußte noch jemand an Bord. Aber was müßte dieser "Jemand" für ein Mensch sein, der es hier mit uns zweien auf dem oft kalten und nassen Schiff in Sturm und Regen aushält, der ohne viele Worte auch an Deck mit zupackt, der Ordnung in diese Männerwirtschaft bringt, der einfach aber ordentlich kochen kann, der nach Möglichkeit noch Maschine schreibt und mit heiter-freundlichem Gemüt zur "geistig-seelischen Auffrischung" beiträgt?

Das müßte ja eine wahre "Perle von Mensch" sein. Gab es sowas überhaupt? Ja, das gab es!

Eines Tages kam die "Perle" Herta in Sturm und Regenwetter ganz von Chemnitz bis zur Nordseeküste auf ihrem Motorrad angeknattert! Also wer das schafft, müßte es wohl auch auf dem Schiff aushalten. Und wir kannten sie ja auch aus der "Schule am Meer", wo sie in Lus Kameradschaft war.

Die "Perle" Herta kommt in Norddeich an Bord und ist gleich "mitten drin", als sei sie schon lange auf dem Schiff gewesen. So steht für diesen Abend im Logbuch:

"Herta hat für ihre Kombüse Einkäufe gemacht. Jetzt schöner Abend bei leichtem NO. Die 'Krake' fährt etwas. Lu und Dieter üben loten. Großartiges Abendessen! Dann liest Herta noch als Abendsprache Lus Wassergeusen-Einleitungskapitel (HASKO) zur Begutachtung vor. Alles ist moj!"

Ja, das Essen hatte mir natürlich besonders gut geschmeckt, brauchte ich es doch nicht zu kochen!

Jetzt begann für uns eine bessere Zeit. Neben Arbeit und Mühsal gab es auch fröhliche und vergnügte Stunden. So gerüstet, konnten wir endlich auf Fahrt gehen.

Darüber kann uns aber am besten das Logbuch der "Krake" berichten, aus dem ich wieder einige Auszüge einfüge. So heißt es z.B. am 28.8.:

"Abends. Den Nachmittag lagen wir trocken auf der Reede von Langeoog. Herta und Dieter schliefen ausgiebig, nachdem sie letzte Nacht bloß 11 Stunden geschlafen hatten. Wir geraten ganz von selber in den Schiffsrhythmus: Schlaf, wenn Zeit dazu ist."

Oder am 29.8.:

"16 Uhr. Da kamen wir beim Tee übrigens auf eine Episode zu sprechen, die nachgetragen gehört. Wenn der Regen aufs Deck prasselt und jeder eine Stelle gefunden hat, wo‘s nicht tropft, und der Kochofen wärmt, spinnen sich die Garne ja gut.

Der Fischereibetrieb auf 'Krake'

Vorher hatten wir uns natürlich fabelhafte Sachen vorgenommen. Heilbutt-Diät, Kabeljauverkauf etc. Nun macht sich freilich Herta nichts aus Fisch, und Dieter verabscheut alles außer Brathering. Immerhin - in Emden kaufte er das letzte Mal 100 Angelhaken. Sie standen zu Lus Verzweiflung oft herum, wo Dieter geteert oder oben auf der Saling die Antenne angemacht hatte. Er bearbeitet immer 3 Unternehmungen zugleich.

Vor Juist legte Dieter 10 Angeln aus, nachdem ihm Lu einen Spaten für die Würmer aus der Schule requiriert hatte. Bei der ersten Ebbe darauf vergaß er nachzusehen. Bei der 2ten sah Lu nach.

Tatsächlich - eine Scholle! Nur eine, aber von 30 cm Länge und der Dicke eines Mannesschenkels. Ein fettes Staatstierl

Herta legte sie zwischen 2 Tellern zurecht. Es kam dann immer wieder was anderes mit dem Essen. Heut im Hafen hier gestand die Perle, sie habe die Scholle für Lu am 3. Tag braten wollen, weil sie 'so gerochen' habe. Herta drückt sich immer so sächsisch-gebildet aus. Aber beim Braten habe die Scholle erst angefangen, noch viel mehr zu riechen. Da hat Herta sie heimlich über Bord entlassen. Das war der Anfang unserer Fischerei."

Am 30. August gibt es mittags endlich mal einen besseren Wetterbericht. Rascher Entschluß: Raus nach Helgoland! 13.15 Uhr Auslaufen aus Neuharlingersiel durch das Seegatt zwischen Spiekeoog und Langeoog in die Nordsee. Freudestrahlend schreibt der Käptn in das Logbuch:

"15 Uhr Otzumer Balge Ansteuerungstonne passiert, setzen Kurs
NNO 1/2 0."

Damals wurde noch nach Kompaßstrichen gesteuert. Doch weiter:

"Dünung rollt schräg von vorne an. 'Krake' wiegt sich gewaltig zum 1. Mal auf offener See! Sonne und Wolken. Mehrere Schiffe in Sicht. Seefahrt!"

Nach der erst so schönen Fahrt wurde es gegen Abend recht ungemütlich. Auf den Untiefen vor der Insel bekamen wir durch den Ebbestrom schweren Seegang. Im Südwesten bauen sich gewaltige Wolkenbänke auf. Aber wir hatten Glück und kamen noch rechtzeitig in den Hafen von Helgoland. Kaum festgemacht, tobt ein Gewittersturm los.

Am übernächsten Tag ging die Reise dann weiter in die Elbmündung nach Cuxhaven und durch den Nordostseekanal zur Ostsee. Das Wetter wurde besser. Es gab sogar richtige Sommertage. Ein paar Tage bleiben wir in dem hübschen Wismar, um alte Freunde in Schwerin zu besuchen und mit diesen auch an der Küste zu segeln. Als schönes Geschenk bekamen wir einen Klapptisch und 2 Klappstühle als Ersatz für die alte Kiste, die uns bisher im Logis als Eßtisch gedient hatte. Das war eine große Erleichterung. Zusammengeklappt ließen sich Tisch und Stühle hinter der Leiter des Niedergangs verstauen. So hatte man plötzlich viel Platz.

Weiter ging die Reise an der Küste entlang über Warnemünde mit Rostock nach Stralsund. In den Häfen mußte das Schiff beim Zoll immer ein- und ausklariert werden. Das war damals recht umständlich, weil der zollfreie Proviant eingeschlossen und verplombt wurde. Es wurden dann nur Tagesrationen freigegeben. Das war alles mit viel Papierkrieg verbunden. Aber die manchmal unnahbaren strengen Zollbeamten tauten schnell auf, wenn sie in die Kapitänskajüte kamen. Da staunten sie über Lus wunderbare Schnitzereien zu seinen Geschichten und über die ganze Atmosphäre auf diesem Dichterschiff. Kam die 'Krake' wieder in diese Häfen, gab es immer eine freudige Begrüßung.

Nun aber nochmals das Logbuch vom 14.9.:

"8.45 Uhr nach behaglichem Frühstück ankerauf und gesegelt. Wind NO 5, Kurse südlich. Die 'Krake' braust unter vollen Segeln mit 6 Knoten schief geneigt, wie ein alter Rennschwan durch die blauen und grünen Bodden und Sunde zwischen Hiddensee und Rügen. Schön ist so ein Tag ganz ohne Motor. 25 sm haben wir so zu machen."

So könnte man noch stundenlang berichten. Die Logbücher der "Krake" aus den Sommerhalbjahren 1934 -1938 umfassen 6 Bände mit insgesamt 1400 handgeschriebenen A 4-Seiten.

Also fasse ich mal zusammen: Von Stralsund ging es weiter rund Rügen über Saßnitz, Dänische Küste, Warnemünde, Burg/Fehmarn nach Kiel durch den Kanal und am 2. Oktober waren wir wieder in Cuxhaven. Die Nordsee empfängt uns mit rauhem windigem Oktoberwetter. Aber Lu muß zwecks Wassergeusen-Forschung noch einmal nach Emden, damit der "Hasko" im Winter fertig geschrieben wird. So kämpfen wir uns westwärts über die vertrauten Watten vor.

Leider muß unsere "Perle" wieder an den Studiertisch zurück und geht am 12.10. in Bensersiel von Bord. Wehmütiger Abschied von allen Seiten. Nun sind Vater und Sohn wieder allein. Am 13.10. sind wir in Norderney.

Nochmal das Logbuch:

"Dieter ist auf die Mole gegangen, sehen, ob Juist noch da ist. Ach, wie wünschte ich dem Jungen, der ja eigentlich heimatlos ist, ein richtiges Zuhause. Hier auf der 'Krake' ist's eben. Mein lieber Junge! Wir sind treue Gefährten geworden auf den rund 1000 Seemeilen, die unsere kleine 'Krake' durchmessen hat."

In Norderney sperrt uns ein Nordweststurm einige Tage im Hafen ein. Es wird bitterkaltl Am 22.10. haben wir uns endlich bis Emden durchgekämpft.

Am 24.10. ging es auf die Reise in das Winterlager. Wir laufen gegen Mittag mit der Tide aus Emden aus und kommen nach 3-tägiger, manchmal abenteuerlicher, doch flotter Wattfahrt mit 3 Tiden nach Cuxhaven! Am nächsten Mittag geht es weiter, elbeauf bis Glückstadt, wo uns Schlechtwetter wieder einen Tag festhält. In der nächsten Nacht kommen wir dann mit der Flut nach Hamburg, wo am 29. Oktober die Seefahrt des ersten "Kraken"-Jahres endet.

Mit einem Kran wird der Mast rausgehoben und auf eine Stellage lang über das Schiff gelegt. Ein Schleppzug nimmt uns elbaufwärts bis Dönitz mit, dann geht es über kleine Kanäle und durch Schleusen mit Selbstbedienung zum Schweriner See.

Am 4. November läuft die "Krake" bei leichtem Frost und ersten Eisansätzen in den Schweriner See ein und geht an der kleinen Werft von Hans Oberländer in das Winterlager. Lu bezieht sein Winterquartier bei den alten Freunden in Schwerin, und ich gehe auf große Fahrt.

In den Folgejahren waren außerhalb der kalten ersten Frühjahrs- oder späten Herbstwochen fast immer Mitsegler an Bord des Dichterschiffes. Heute nennt man das "Hand gegen Koje", d.h. Mitfahren aber auch Mitarbeiten. Meistens waren es junge Studenten oder Studentinnen, teils Bekannte aus der Schulzeit, aber auch Freunde oder Ältere, die für 2 - 4 Wochen begeistert das Bordleben mit uns teilten. Manchmal kamen sie alleine, manchmal auch zu zweit oder zu dritt. Bei einem Wechsel war es immer spannend, wer nun wohl kommen würde. Es wurde viel gearbeitet, oft hatte der Dichter jemand, der auch auf der Maschine schreiben konnte, und das Schiff wurde immer schmucker.

Die "Krake" war bald in allen Häfen bekannt. Freunde und Jugendgruppen kamen zu Erzählabenden an Bord und lauschten dem Dichter. Nach manchen Sturm- und Regentagen gab es auch vergnügliche Abende. So heißt es z.B. am 26. August 1935 (in Kiel, es waren 5 Leute an Bord) im Logbuch:

"Die Crew hat heute abend den Geselligkeitsrausch. Sie spielt Pfänderspiele und riskiert bei abenteuerlichen Lösungsaufgaben, die Bevölkerung und die Polizei zu alarmieren. Ulla muß auf dem nächtlichen Kai mit schallender Stimme ein Morgenlied singen. Der Kie (ein Doktorand) [Martin Kießig] mit Lus Burnus als tibetanischer Mönch verkleidet, dahinter Dieter mit einem Strauß künstlicher Rosen (vom Schießstand auf dem Rummelplatz) als Opfergabe, schritten feierlich und würdevoll auf Kiels Hauptstraße dahin, ohne der verblüfften Volksmenge auch nur einen Blick zu gönnen. Beide trugen tiefsten Ernst im Antlitz. Ein Passant sah in Kie wohl einen Heiligen, und er bekreuzigte sich und sank in die Knie. Der weibliche Teil der Crew (2 Mädel) verfolgte diesen tibetanischen Umzug mit Distanz, verhalten kichernd."

Nachdem ein gerade daherkommender Streifenpolizist den Verkehr anhielt, damit wir in gleicher Würde die Fahrbahn überqueren konnten, erschien es doch angebracht, uns durch Seitenstraßen zurück an Bord zu verdrücken. Als dann noch am nächsten Tag in einer kurzen Zeitungsnotiz von dem Erscheinen eines Gurus auf der nächtlichen Hauptstraße berichtet wurde, von dem niemand weiß, wo er eigentlich herkam und wohin er ging, war es wohl an der Zeit, in See zu gehen.

Ab dem 3. Sommer konnte ich leider nur noch zeitweise auf der "Krake" fahren und mußte durch einen anderen Seemann ersetzt werden. Durch meine seemännische Berufsausbildung war ich dann viel auf großer Fahrt in ferne Länder.

Am 18. Juni 1944 erhielt die "Krake" auf der Werft in Finkenwerder bei einem Luftangriff einen Bombenvolltreffer.

Und so endete das abenteuerliche Leben der alten ,ZK 14‘.

Der Autor dieses 1988 geschriebenen Beitrags, Dieter Luserke, wurde am 15.9.1918 in Wickersdorf geboren. Er war Schüler der "Schule am Meer"auf der Insel Juist. Von 1934 bis 1935 und dann zeitweise bis 1939 bereiste er mit seinem Vater Martin Luserke an Bord der "Krake" die Nord- und Ostsee.

Seit dem Tod seines Vaters 1968 sind Dieter Luserke und seine Frau Ulla (die in jungen Jahren Sekretärin Martin Luserkes in Meldorf war) kontinuierlich darum bemüht, Leben und Werk Martin Luserkes lebendig zu halten. Beide leben in Bremen.

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