Martin Kießig:

DIE ALTE "ZK 14"

BESUCH AUF EINER SCHWIMMENDEN DICHTERWERKSTATT
- Ein Gast an Bord erlebt die "Krake" 1935 -

,,Natürlich war ich riesig gespannt auf dieses seltsame Schiff M.S. ,KRAKE‘, die schwimmende literarische Werkstätte, auf der Martin Luserke, der Dichter, wohnt und schafft. In Wirklichkeit ist die ,KRAKE' ja die alte ,ZK 14‘, ein holländisches Fischerboot von ganz merkwürdiger Art. Manchmal, wenn abends Besuch an Bord kam und wir gedrängt in der Kajüte hockten, erzählte Luserke Geschichten aus der Vergangenheit des Schiffes, als der alte, pfiffige und versoffene Obadjah noch auf ihr fuhr und seltsame, tolle Abenteuer auf ihr erlebte. Da war einmal der Teufel unter der ,ZK 14‘ und mußte das Schiff auf seinem breiten Buckel tragen, als es in Treibsand geraten war und zu versacken drohte. Von damals rührt es her, daß der flache Boden der ,ZK 14‘ noch heute so schwarz und blank und wie verkohlt ist. Ich habe es selber gesehen, als wir einmal im Watt trocken gefallen waren und das ganze schwerbauchige Schiff frei auf dem Sand lag...

So verwahrlost wie damals zu Obadjahs Zeiten ist die ,ZK 14‘ heute freilich nicht mehr. Im Gegenteil. Seit sie ,KRAKE‘ heißt, ist sie ein schmuckes Schiff geworden. Sie hat die breite, behäbige Form der Fischertjalken mit rundem Bug und geringem Tiefgang. Sie ist aus schwerem, soliden Eichenholz gebaut und mit silbern schimmerndem Eisenblech beschlagen. Doch führt sie noch von Obadjahs Zeiten her die Segel mit dem alten Zeichen ,ZK 14‘.

In seiner wohnlich-engen Kajüte mit dem solid gebauten Tisch, dem Bücherbrett, eingebauten Schränken und der Schlafkoje wohnt der Dichter. Zuerst überraschen uns die erstaunlichen Holzschnitzereien an den Wänden. Das erste dieser Reliefs, das figurenreiches Rankenwerk und eine verwirrende Fülle symbolischer Gestalten zeigt, hat Luserke in der französischen Kriegsgefangenschaft geschnitzt. Heute betreibt er diese Kunst nicht anders als der germanische Bauer, der an langen Winterabenden Pfosten, Türen und Deckengebälk seiner Stube mit Schnitzwerk versieht.

Auch ein paar Bücher sind da: Wilhelm Meister, Gösta Berling, Ulenspiegel, Skaldengeschichten und Märchen, die die Form des Aufbaus und der Sprache zeigen, der auch Luserkes Kunstform verwandt ist. In dieser engen Kajüte, in denen noch Karaki, der Wellensittich, wohnt - bunt und furchtbar schüchtern, aber von allen geliebt -, hier ist auch Luserkes großer Wassergeusen-Roman ,HASKO‘ begonnen und zum großen Teil ausgearbeitet worden.

Die Dichtung, die hier entsteht, ist erlebt und erfahren im ursprünglichsten und wörtlichsten Sinn. Hier hat kein Literatengeschwätz Bestand, hier kennt man keine Studierstubenluft. Luserke, der Dichter, ist zugleich auch Luserke, der Seemann, und er ist stolz darauf, wenn er von Fischern und Schiffern für einen alten Kapitän gehalten wird. Er ist es ja auch, und Dieter, sein Sohn, hat bei ihm angeheuert, und seine Tochter verwaltet trefflich die Küche und sorgt in zahllosen Streitgesprächen für Munterkeit.

Denn die Bordkameradschaft bringt ein arbeitsames, aber auch fröhliches Fahrtenleben. Ich hoffe, den Dichter hier nicht in aller Öffentlichkeit bloßzustellen, wenn ich verrate, daß wir eines Abends, wir lagen im Kieler Hafen, Pfänderspiele machten und uns in ausgelassener Laune gegenseitig zu schlimmen Dingen verurteilten. Ich mußte, bekleidet mit Luserkes Burnus, einem riesigen, sandfarbenen, wollenen, mantelartigen arabischen Gewand mit Kapuze, durch Kiels hellerleuchtete Hauptstraße wandern, Dieter hinterher, einen Strauß künstlicher Rosen mit beiden Händen vor sich her tragend. Wir wundern uns noch heute, daß wir nicht verhaftet worden sind. Das Schönste aber waren die Erzählabende an Bord. Wir hatten viele Jugendliche zu Besuch, meist aus dem Landjahr. Bis zu sechzehn Mann saßen wir in der engen, abendfinsteren Kajüte. Oben, zur offenen Deckluke, schauten die Sterne herein, und der Mast schwankte hin und her. Da war die rechte Stimmung für Luserkes berühmte Gespenster- und Spukgeschichten!

Auf den Fahrten muß jeder bei der Arbeit helfen. Da kommt man als Binnenländer auf ein Schiff und muß alle Arbeit lernen, die es hier gibt. Man schämt sich, weil man sich oft genug ungeschickt anstellt; auch dauert es eine Weile, bis man den Seemanns-Wortschatz wenigstens so einigermaßen beherrscht. Man lernt Segelsetzen, Steuern (nach Tonnen, Kompaß und Karte), und man lernt als Dienstjüngster an Bord allabendlich den ,,Posteimer“ im Stauraum auf der Leeseite über Bord zu kippen. Das ist nicht weiter schwer, riecht aber nicht gut.

Ich kam in Wismar an Bord und fuhr bis Emden mit. Zwischen der grünblauen Ostsee und der grauen, schwermütigen Nordsee lag die Fahrt auf dem Kanal und der Eider. Auch das war ein seltsames Erlebnis: auf dem Kanal zwischen grünen Deichen und flachem Land plötzlich die Ozeanriesen zu erblicken, die langsam und majestätisch vorbeirauschten. Schön war die Eiderfahrt. Der Fluß zieht sich in endlosen Windungen durch das grüne Schleswig-Holsteiner Marschenland.

Vor der Eidermündung im Watt war es auch, wo wir einen Sturm vor Anker abreiten mußten und wo ich, als bei Windstärke 8 die ganze Welt um uns brauste und schwankte, das erste Mal mein Mittagessen den Fischen überließ. Am nächsten Morgen hatte ich bei heller Sonne das seltsame Erlebnis, daß das Schiff infolge Ebbe und Flut frei auf dem Sand lag und man dort, wo tags zuvor das Wasser vier Meter hoch stand, auf festem Meeresgrund spazieren gehen konnte. Ringsum schrien zahllose Möwenschwärme. Drüben überm grünen Deich schauten die Rotdächer einsamer Gehöfte hervor. Die Welt war so einsam. Und mitten in ihr lag das gute Schiff ,KRAKE‘, das mit seinem Balkenrand die Bootskameradschaft eines Dichters umschließt.“

Die genaue Quelle des vorliegenden Beitrags, der in einer Zeitung erschien, konnte nicht mehr ermittelt werden. Der Aufsatz ist 1935 erschienen und im Logbuch der ,,Krake“ von Martin Luserke eingeklebt worden. Der Autor ist Martin Kießig, Schüler von Theodor Litt, der 1936 seine Dissertation (Philosophische Fakultät der Universität Leipzig) über Martin Luserke veröffentlichte:

Martin Kießig: MARTIN LUSERKE - GESTALT UND WERK.

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